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Telefunken
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TELEFUNKEN:
Digitalrechner TR 84
(Artillerierechner Falke)




TELEFUNKEN: System Falke. Rechner TR 84 mit abgenommener Frontplatte, Bedienpult, Programmladegerät und Fernschreiber. Deutschland, ca. 1974.

Bei der Entwicklung von elektronischen Rechnern in Deutschland spielte TELEFUNKEN  eine herausragende Rolle. Mit Analog- und Digitalrechnern setzte die Firma schon Mitte der 1950er Jahre auf zwei sehr unterschiedliche technologische Ausrichtungen im Rechnerbau, war in den 1960er und -70er Jahren auf beiden Gebieten mit einer umfänglichen Produktpalette vertreten und auch wirtschaftlich erfolgreich. Nach den Anfangsjahren in Backnang waren Rechnerentwicklung und -fertigung der Telefunken im Fachgebiet Informationstechnik in Konstanz beheimatet.

Der Digitalrechner Modell TR 84 wurde 1966 entworfen, trägt einige Konzepte der in Backnag bereits Mitte der 1950er Jahre gebauten Rechenanlage TR-4 weiter, ist aber dem TR-440 zeitlich und technologisch näher. Der TR 84 ist die militärische Variante des zivilen TR-86, arbeitet allerdings mit einer etwas kürzeren Wortbreite (18 Bit) und kann entsprechend etwas weniger Speicher adressieren; es ist der erste Digitalrechner, der bei der Bundeswehr im Feld zum Einsatz kam.
Zum TR 84 ist bedauerlicherweise keine technische Dokumentationen mehr verfügbar; eine Erwähnung findet das System im von Carl Schneider 1970 herausgegebene Datenverarbeitungslexikon: Aufgeführt sind unter der Systemfamilie AEG/ TELEFUNKEN die Spezifikationen der beiden Rechner.



TELEFUNKEN: Digitalrecher TR-84 vorne, offen. Deutschland, ca. 1974.

Die Hardware-Architektur des TR 84 kennt noch keine monolithische Central Processing Unit (CPU) - Rechenwerk und Befehlswerk mit ihren Registern sind auf Platinen diskret mit Bausteinen in ECL-Technik realisiert, die Ansteuerung etwa der Merk-FlipFlops geschieht zum Teil noch mit Transistoren.
Auf obigem Bild zu erkennen sind rechts (oben/ unten) zwei Speichereinheiten mit Kernspeichern zu je 18x16k Größe. Oben mittig befindet sich das Befehlswerk, in der Einheit oben links das Rechenwerk, die Ein-/Ausgabesteuerung und das Mikroprogrammsteuerwerk. Unten links sind Anpasswerke für die Peripherie untergebracht.
Der TR 84 ist unabhängig von seinen militärischen Einsatzszenarien ein universell und frei programmierbarer elektronischer Digitalrechner.




TELEFUNKEN: Digitalrecher TR 84 Platinen mit 2 x36pin Kontakten. Deutschland, ca. 1968.

Die gesamte elektronische Architektur des Rechnerkerns ist mit Logik-Grundbausteinen aus MOTOROLAs MECL-Serie (Motorola Emitter Coupled Logic) realisiert. Das Bild oben zeigt die beiden Steckkarten für die Ein-/ Ausgabe-Steuerung. Das Karten-Layout ist ähnlich jenem der TR-86 und TR-440 Rechner. Die Metallschienen bilden das Massepotenzial und dienen auch der Wärmeabfuhr. Die Karten sind von beiden Seiten bestückt.

   


TELEFUNKEN: Digitalrecher TR-84 . Stromversorgung STV 791

Oben abgebildet: Die Stromversorgung Typ STV791, die aus 24V Gleichspannung insgesamt sieben, für den Rechner erforderlichen Betriebsspannungen erzeugt (die Eingangsspannung wird mit einer Thyristor Gegentakt-Schaltung "zerhackt", was zu einem mehr oder mider unangenehm lauten Fiepston während des Betriebs führt).  Die primärseitige Stromaufnahme beträgt bei Betrieb etwa 20A.
Auffallend in der Verarbeitung des Netzteils: Ein Großteil der elektrischen Verbindungen sind geschraubt. Als besondere Bauteile finden sind in der STV 791 rechteckige Kondensatoren von PLESSEY, sowie ein 115V Lüfter (ROTRON Propimax), der bei 400 Hz arbeitet. Leider keine Unterlagen oder Stromläufe, was eine Störungsbehebung extrem schwer macht. Durch die feste Verbauung des Netzteils  im Rechner können zur Laufzeit auch keine internen Messungen durchgeführt werden.






TELEFUNKEN: Digitalrecher TR-84 . Bedienpult BPU 790,  Vorder- und Rückseite.

Eingeschaltet wird der Rechner von einem abgesetzten Bedienpult BPU 790, von dem auch das Laden der Software gestartet wird. Das Bedienpult wird mittels eines 61poligen Verbindungskabels mit dem Rechner verbunden. Auch die Schnittstellen für die Fernschreiber, die Optische Anzeige, den Lochstreifenleser und das Programmladegerät (früher ein  Magnetband-Laufwerk) sind rückwärtig am Bedienpult zu finden. Alle Schnittstellen sind als militärische Stecker ausgeführt.






TELEFUNKEN: Digitalrecher TR 84 . TEKADE Fernschreiber Type FS200Z mit Lochstreifenleser und -stanzer.

Für den Dialogbetrieb ist am TR 84 ein Fernschreiber (FS) mit entsprechendem Anpasswerk vorgesehen, hier der FS200Z von TeKaDe; der TeKaDe FS200Z ist die letzte Ausbaustufe des Systems. Die Ein- und Ausgabe geschieht im Halb-Duplex Verfahren bei einer Rate von 200 Zeichen/s (Baud). In der ersten Version 1967 arbeitete der Rechner noch mit dem SIEMENS T 100 Fernschreiber. Verbunden wird der Fernschreiber über ein Do8-Stecker mit dem Bedienpult.




TELEFUNKEN: Digitalrecher TR-84. Magnetband-Gerät.

Die Software für den TELEFUNKEN TR 84 wurde in den Anfangsjahren des Rechners von einem Lochstreifenleser (TALLY 464-PR-6) ab ca. 1974 einem, von TELEFUNKEN eigens entwickelten Magnetbandgerät  geladen. Das Magnetband-Laufwerk wird in einigen Internet-Foren irrtümlich als Flugschreiber angepriesen. Es ist eines der faszinierensten Komponenten aus der TELEFUNKEN Rechner-Peripherie. Das Laufwerk wird in eine Art Docking-Station eingeschoben und von dort aus über ein 19poliges Kabel mit dem Bedienpult des Rechners verbunden. Nach Betätigen der LADEN-Taste wird die Software in den Kernspeicher geladen.
Nach dem Ladevorgang wird das Programm mit Betätigen der START-Taste am Bedienpult ausgeführt.






TELEFUNKEN: Digitalrecher TR-84. Programmladegerät PLG 39. Bild 2: Während der Datenübertragung

Nach dem Niedergang der TELEFUNKEN gehen Entwicklung und Wartung der TR-84 Rechner auf die auch in Konstanz ansässige Firma ATM über. Dort findet  eine Anpassung bei der Aufspielung von Programmen statt und es kommt ein, auch in anderen militärischen Systemen zu findendes Programmladegerät mit der Bezeichnung PLG 39 zum Einsatz. Das PLG 39 arbeitet mit Magnetblasenspeicher und schafft eine Datenhaltung von bis zu 1 MB. Auch hier werden die Programme bzw. der Blasenspeicher-Kassetten in ein dafür konstruiertes Fach im Programmlader geschoben.
Die Übertragungsgeschwindigkeit vom externen zum internen Speicher erhöhte sich mit dieser neuen Technologie auf 96 kBit/s.
Um die Software vom PLG 39 in den TR 84 laden zu können, entwickelte ATM auch ein entsprechendes Anpasswerk M-BU6 mit RCA 1802 CPU, das anstelle der Karte für den Lochstereifenleser in den dafür vorgesehenen Schacht gesteckt wird.  Mit dieser neuen, etwa 1985 eingeführten Architektur konnte auch Software dynamisch nachgeladen werden ohne den Datenträger auswechseln zu müssen.


      

TELEFUNKEN: Digitalrecher TR-84. Reverse-Engieering Datenverkehr TR 84 und PLG 39.


Das Protokoll für den Datenaustausch ähnelt auf der Leitung einem V.24 - Standard, die Spannungspegel sind etwas unterschiedlich und das Ende einer Tranche wird anders signalisiert. 
Die Adressierung der einzelnen Tranchen beim Nachladen zu verstehen, also die innere Logik, war eine der herausfordernsten Übungen beim Reverse Engineering des Telefunken TR 84. Obiges Bild gibt einen Eindruck von dieser Arbeit: Zu sehen sind mittig die logischen Zustände des sich aus sechs Datenleitungen zusammensetzenden Verkehrs des Anpasswerks mit dem Rechnerkern. Die Leitungen sind gemultiplext und die Logik für ausgehenden Verkehr negiert. Mit den einzelnen Bits wird eine Lese-Anforderung signalisiert und auch die Adresse, von der gelesen werden soll kodiert. Auf dem Bild ist auch zu erkennen, dass der TR 84 asynchron arbeitet, die Signale also von unterschiedlicher Dauer sind - es geht dann weiter, wenn das Rechenwerk wieder soweit ist.
Die auf dem Bild oben zu erkennenden vier Kanäle sind die äußeren V.24-Verbindungsleitungen (RxD, TxD, RTS, CTS), die  während dieser Zeit keine Ändeung zu melden haben.


      

TELEFUNKEN: Digitalrecher TR-84. Aufbau für das Reverse-Engineering Laden von Software.


Durch die lange Weiterentwicklungs-Geschichte des TELEFUNKEN TR 84 von nahezu 30 Jahren "durchlebte" der Rechner auch etliche Änderungen bei Standards, Normen und Protokollen und wurde immer wieder angepasst. Von allen Zeiten blieben am Rechner einige Merkmale übrig, gut zu erkennen bei den zu Grunde liegenden Spannungspegeln der Logiken: Beginnend mit Mark und Space beim Fenschreibverkehr (+/- 15V), ECL im Rechenwerk 0V/ -5V)und schließlich TTL +5V/ 0V) im Anpasswerk für das Programmladegerät.
Beim Reverse-Engienering des TR 84 kam ein Hewlett-Packard HP 8182B Data Analyzer zum Einsatz; der einzig mit bekannte Analyzer bei dem sich die Ansprechpegel jeder einezelnen Sonde zwischen - 10v und + 10V selektiv setzen lassen.

Ähnlich umwälzende Bewegungen finden sich auch bei der Software: Das aus den Anfangsjahren (1967) stammende stapel-basierte Betriebssystem für den TR 84, das BESY84, wurde  bereits 1976 durch ein Realzeitbetriebssystem ORFEUS ersetzt. Die Prozesse aus Programmen und Ein- und Ausgabe übergaben ihre Abarbeitung in ORFEUS einer Regierverteilung, die je nach Priorität zuteilte. Die Prioritäten ergaben sich teils aus der Rechner-Architektur, teils konnten sie durch Programmcode gesetzt werden.
Mit insgesamt 19 Assembler Grund-Befehlen ist der Vorrat für die Programmierung vergleichsweise schlank und erfordert viel Geschick; da mit dem Befehl CA (für Speichere Adressteil) der Programmcode  während der Laufzeit eines Programms geändert werden kann, erhält der Programmierer eine besondere Flexibilität, es erschwert allerding auch die Lesbarkeit der Programmtextes. 


      

TELEFUNKEN: Digitalrecher TR-84. Aufbau für das Reverse-Engineering Laden von Software.


Auf obigem Bild ist der TR 84 -  im Ausschnitt das Programmunterbrechungs-, Rechen- und Befehlswerk - in Betrieb zu sehen. Die mittig zu erkennende Leiste aus 18 LEDs zeigt den letzten ausgeführten Befehl; die daneben befindlichen 14 LEDs zeigen den Inhalt des Befehlszählers.  Die kleinen Taster und der Schalter ganz links ermöglichen eine Umstellung des Rechners in den Einzelschrittmodus wodurch sich der Programmablauf schrittweise studieren lässt.
Untenstehend noch der Assemblertext ein kleines Testprogramm mit Kommentaren, es werden der Shift- und Skip-Befehl geprüft:
                               
0 S 3072
[…]
3072 SH U 0 // <A> nach <Q> und <A>:= +0
3073 SH V 0 // <Q>:= +0 und <A>:= +0
3074 SI 3076 // <A> wirklich 0 ?
3075 AA 0 // sonst Null-Durchgang
3076 SH ZK 18 // tausche <A> und <Q>
3077 SI 3079 // war <Q> wirklich +0 ?
3078 AA 0 // sonst Nulldurchgang
3079 SA 7 // <A> = 111 111 111 111 111 000
3080 SK 3082 // wenn <A>1 = 1 und min. eine 0
3081 AA 0 // sonst Null-Durchgang
3082 SH ZL3 // drei Bit nach links schieben
3083 SK 3082 // muesste 5mal durchlaufen werden
3084 SI 3086 // <A> muesste dann ja +0 sein
3085 AA 0 // sonst Null-Durchgang
3086 SH ZK 18 // <A> = 000 111 111 111 111 111
3087 SH 9 // 9mal nach rechts schieben
3088 SA 64 // <A> = 111 111 111 111 111 110
3089 AA 1 // plus 1
3090 SI 3092 // wirklich -0 ?
3091 AA 0 // sonst Null-Durchgang
3092 S 3588 // Sprung ins nächste Modul

Die im Jahre 1903 aus Teilen der SIEMENS und AEG gegründeten Telefunken Gesellschaft für drahtlose Telegraphie m.b.H. und zu einem Konzern gewachsene TELEFUNKEN überlebte die 1980er nicht. Bereits Mitte der 1970er Jahre wurde die in Konstanz ansässige Rechnersparte (Mittlere Datentechnik und Prozessrechner) zunächst zur AEG-Telefunken und folgend in die ATM überführt. Verglichen mit anderen Spaten des einstigen Weltkonzerns, etwa dem Senderbau (Berlin) oder der Satellitentechnik (Ulm) ein vergelichsweise glimpfliches Ende.

Auf dem internationalen Markt konnten die Telefunken-Digitalrechner TR 84, TR 86 und TR 440 trotz ihrer konkurrenzfähigen Leistungswerte nicht dauerhaft mithalten, vergleichsweise günstig (Hardware) und flexibel (Software) waren die vorallem aus den USA kommende Produkte, die zu Beginn der 1980er Jahre auch große Teile Europas eroberten.

 

  
 

 
  
  
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